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Tatort Henstedt-Ulzburg

Pressemitteilung: Prozessbeginn gegen ehemaliges AfD-Mitglied

Heute, am 3. Juli 2023, begann vor dem Kieler Landgericht der Prozess zur rechten und rassistischen Auto-Attacke vom 17. Oktober 2020 in Henstedt-Ulzburg. Der Fahrer Melvin S. ist wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr angeklagt. Als Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg organisierten wir heute eine Kundgebung in Solidarität mit den Betroffenen der Auto-Attacke, an der über 100 Menschen teilnahmen.

Eine Betroffene hielt einen starken und bewegenden Redebeitrag auf der Kundgebung: „Was medial nie wirklich benannt geworden ist: Ich wurde nicht einfach nur umgefahren, ich wurde mit dem Auto verfolgt und schlussendlich umgefahren. Ich bin wortwörtlich in Todesangst um mein Leben gerannt, als Melvin S. dieses riesige Auto auf mich zugesteuert hat und mich mehrere Meter damit gejagt hat. […] Es hat mich nicht nur als Antifaschistin getroffen, es hat mich in erster Linie als die Schwarze Frau getroffen, die hier steht. Denn ich hatte nie das Privileg unpolitisch sein zu können. Ich habe keinen „Antifa forever Pullover“, den ich einfach ausziehen kann, wenn ich mir mal einen Tag gönnen will, an dem ich mich nicht auf Politik konzentrieren möchte. Der Anschlag hat mich wahnsinnig starke körperliche Schmerzen über einen langen Zeitraum gekostet. Der Anschlag hat mich schwerste mentale Kämpfe gekostet. Der Anschlag hat mir für fast drei Jahre meine politische Stimme geraubt, aber heute stehe ich wieder hier und möchte zum Ende meines Beitrages und zu Beginn des Prozesses mich bei all denjenigen bedanken, die dafür gesorgt haben, dass dieser Anschlag nicht in Vergessenheit gerät und als das wahrgenommen wird, was er war.“

Das Gericht hat heute Teile der Anklage verlesen und den Täter befragt, der sich zur Anklage geäußert hat. Sonja Petersen stellt für das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg fest: „Das Gericht kann anhand der Handyauswertung des Täters bestätigen, was Antifaschist*innen bereits kurz nach der Tat recherchierten: Melvin S. ist ein gefährlicher Faschist.“ Ein Newsletter der „Identitären-Bewegung“ sowie ein Hakenkreuz-Bild und Fotos in Wehrmachtsuniform auf seinem Handy offenbaren seine extrem rechte Einstellung.

„Wie erwartet hat der Täter heute unzählige Lügen aufgetischt. Die Darstellung, er und seine Freunde seien von einer 8 bis 12-köpfigen Gruppe verfolgt worden, die den Zeugen P. angegriffen habe, muss als Schutzbehauptung gewertet werden. Dies ist eine widerliche Täter-Opfer-Umkehr, die uns als Strategie von Neonazis in Gerichtsprozessen bekannt ist.“, fasst Petersen die Einlassung des Angeklagten zusammen. Die Verteidigung behauptet gar, sein Mandant und seine Familie würden beobachtet und beleidigt werden.

„Das ist auch ein zentraler Teil rechter Ideologie, dass Rechte nie die Angreifer sind und sich immer nur wehren und sich im Zweifel auch vorsorglich schon mal wehren“, sagt Nebenklagevertretung Dr. Björn Elberling.

Tatsächlich wurde heute vor Gericht das Gegenteil deutlich: Der Täter war nicht zufällig vor Ort, sondern ist gezielt aufgrund des antifaschistischen Gegenprotests nach Henstedt-Ulzburg gefahren, um „Zecken zu glotzen“. Mit neonazistischen Stickern „Antifa – Merkels Schlägertrupp“ von dem extrem rechten Projekt „Ein Prozent“ und „Reichsbrause“ des Thüringer Neonazis Tommy Frenck wollte er mit seinen drei Freunden den Gegenprotest provozieren. Seine Begleiter Julian R., Finn T. und Finn-Ole P. sind als Zeugen im Verfahren geführt.

„Die Handyauswertung liefert eindrückliche Belege für seine Tatmotivation: Melvin S. ist ein Rassist und hat einen ausgeprägten Hass auf Linke“, erläutert Petersen. Er tätigte gegenüber dem Zeugen R. die Aussage: „Ich hasse die Linken so sehr, wie du die Kanacken hasst (…) es werden immer mehr, bis wir als deutsche, als weiße Menschen ausgestorben sind.“.

Neben der extrem rechten Gesinnung des Täters wollen wir insbesondere auf die Rolle der AfD in diesem Zusammenhang hinweisen: Melvin S. war zum Tatzeitpunkt AfD-Mitglied und die Tat fand am Rande einer AfD-Veranstaltung im Bürgerhaus Henstedt-Ulzburg statt, einem der wichtigsten Veranstaltungsorte für die AfD Hamburg und Schleswig-Holstein. AfD-Funktionär Julian Flak aus dem Kreis Segeberg kennt den Täter S., er soll ihn zu AfD-Veranstaltungen eingeladen haben.

„Diese Tat steht im direkten Kontext der alltäglichen Hetze der AfD gegen Migrant*innen, People of Color, Queere und Linke. Die Politik der AfD stellt den ideologischen Nährboden für solche Taten dar und führt in Konsequenz zu rechter und rassistischer Gewalt. Dies zeigen zahlreiche Übergriffe durch AfD-Funktionäre der vergangenen Jahre und auch die Tat von Melvin S.. Er setzte die Hassbotschaften der AfD in die Tat um, indem er mit seinem Pick-Up gezielt in Menschen fuhr, die er als politische Gegner*innen ausmachte“, fasst Petersen die Perspektive des Bündnis zusammen.

Um die Betroffenen zu unterstützen, organisiert das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg Kundgebungen vor dem Gericht. „Es ist uns wichtig, solidarisch an der Seite der Betroffenen zu stehen und sie insbesondere während des Prozesses nicht allein zu lassen. Wir freuen uns über alle, die sich mit den Betroffenen solidarisieren und zu unseren Kundgebungen kommen“, so Petersen.

Die Termine zu den Kundgebungen werden auf dem Blog und den Social-Media-Accounts des Bündnis veröffentlicht.

Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg