Dokumentation

Wir dokumentieren hier die Prozessbeobachtung von NSU Watch, die zu jedem Verhandlungstag einen Thread bei Twitter/X veröffentlicht haben.

21. Prozesstag: 21. Dezember 2023 (NSU-Watch)

Heute, am 21. Tag im #HUProzess, wurde das Urteil gesprochen. Melvin S. wurde am Landgericht Kiel für gefährliche Körperverletzung in 4 Fällen & gefährlichen Eingriff in Straßenverkehr zu 3 Jahren Jugendstrafe verurteilt. Ein rechtes und rassistisches Motiv wurde nicht anerkannt. Zuvor betonten die Betroffenen auf der Kundgebung des Bündnisses Tatort Henstedt-Ulzburg die Relevanz des solidarischen Kampfs gegen den Faschismus. P. fordert: „Lasst uns alle weiter daran arbeiten, dass eine Partei wie die AfD es nicht schafft, den Diskurs weiter nach rechts zu verschieben“. Nebenklägerin O. resümiert: „Ich habe gekämpft. Ich habe überlebt. Der Prozess wird heute enden, aber ich werde weiter mit den Konsequenzen des Tötungsversuchs durch Melvin S. kämpfen müssen. […] Aber was nicht endet und was niemals enden wird, ist die Solidarität.“ Die Vorsitzende Richterin begründet das Urteil: Die Kammer habe versucht so gut wie möglich nachzuvollziehen, wie die Tat abgelaufen ist. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts gewesen, zu erforschen, ob der Angeklagte eine rechtsradikale Gesinnung hat oder nicht. Das Urteil weiter: Melvin S. – damals AfD-Mitglied – ist mit seinen Freunden nach Henstedt-Ulzburg gefahren, um die linke Demo anzuschauen. Provokativ fotografierten sie sich mit „Reichsbrause“. S. kontaktierte Neonazi Tommy Frenck. Die Gruppe wurde der Veranstaltung verwiesen. Zeuge T. habe in der Umgebung Sticker verklebt: „Antifa – Merkels Schlägertrupp“. Als die Gruppe zu ihren Autos ging, seien ihnen Menschen gefolgt, wovon eine Person später Pa. geschlagen habe. Dies sei jedoch keiner der Geschädigten, sondern eine unbekannte Person gewesen. Daraufhin habe sich der Angeklagte entschlossen mit dem Auto in Richtung des Betroffenen P. zu fahren, den er mit ca. 20 km/h erfasste. Er habe den Aufprall wahrgenommen, aber nicht gebremst. Die Betroffene O., die versuchte wegzulaufen, wurde von der Front des Autos erfasst. Der Amarok sei ein gefährliches Werkzeug, ein Anfahren eine das Leben gefährdende Behandlung. Es sei nur zufällig nicht zum Überrollen gekommen. Dem Angeklagten sei die Gefährlichkeit bewusst gewesen. Den Tod habe er aber nicht beabsichtigt & auch nicht billigend in Kauf genommen. Die Kammer hält es für möglich, dass S. nur seinem Freund helfen wollte und keinen Tötungsvorsatz verfolgte. Sie betont, dass der Angeklagte nicht in Notwehr gegen die Nebenkläger handelte, kein gegenwärtiger Angriff seitens der Betroffenen vorlag. Der Angeklagte hatte zwar extrem rechte Inhalte auf seinem Handy und die AfD-Mitgliedschaft war der Grund für seine Anwesenheit auf der Veranstaltung. Dass diese politische Einstellung aber auch zur Tat führte, könne nicht hinreichend festgestellt werden, so das Gericht. Es sei auch nicht feststellbar, dass Melvin S. die Betroffene O. als Schwarze Frau wahrnahm und sie deswegen gezielt anfuhr: „Dass er aus Wut oder Hass oder aus rassistischen Gründen gehandelt hat, geht nicht sicher hervor“. Strafmildernd bewertet wurde die lange Verfahrensdauer und die Einlassung. Obwohl die Einlassung des Angeklagten in Widerspruch zur Beweiserhebung stehe, insbesondere was die Fahrweise und die extrem rechten Inhalte angeht. Das Gericht betont die „sehr ausgestanzten Erinnerungslücken“ des Angeklagten bezüglich des wesentlichen und belastenden Zeitraums. Die Aussage des Mitfahrers Julian R. hält das Gericht für unglaubwürdig und erkennt hier R.s Tendenz zur bewussten Belastung der Betroffenen. Abschließend wendet die Richterin sich an die Prozessbeteiligten. Der Nebenklage erklärt sie, die Kammer habe ihre Position verstanden, könne aber keine politische Beurteilung im Strafverfahren vornehmen. Dies sei Aufgabe der Gesellschaft. An Melvin S. gerichtet erklärt die Vorsitzende Richterin, dass er sich mit der Tat selbstkitisch auseinandersetzen solle. Dies sei nötig, um erwachsen zu werden und ein verantwortungsbewusstes Leben zu führen, auch in der Haft. Das Gericht fällt in seinem Urteil damit hinter die Forderung der Staatsanwaltschaft zurück, die forderte, Melvin S. für versuchten Totschlag zu 3,5 Jahren Haft zu verurteilen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

20. Prozesstag: 11. Dezember 2023 (NSU-Watch)

Am 20. Tag im #HUProzess wurden heute die Plädoyers gehalten. Die Staatsanwaltschaft fordert 3,5 Jahre Haft für Melvin S. aufgrund des Tötungsversuchs. Die Nebenklagevertretung betont die politische Dimension der Tat, welche die Verteidigung leugnet und Freispruch fordert. Staatsanwalt Frahm stellt im Plädoyer fest: Die Gruppe um S. fuhr gezielt zur Kundgebung, um zu provozieren. Ihre Darstellung sei unglaubwürdig: „Nach Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass der Angriff auf Pa. nicht so stattgefunden hat, wie die Gruppe es darstellt“. Frahm sieht einen Tötungsvorsatz: S. sei die potentiell tödliche Wirkung des Autos bewusst gewesen. Als wer rief „du hast sie getötet“, glaubte er das. Auch die Bewegung des Autos spricht für Vorsatz. Durch Gutachter sei klar geworden: Nur Glück verhinderte tödliche Verletzungen. Die Entschuldigung des Angeklagten habe einen „faden Beigeschmack, die nicht zur übrigen Erzählung passt“. Dass die Betroffenen diese nicht akzeptieren, sei nachvollziehbar. Die Folgen für die Betroffenen, insbesondere die psychischen, seien schwerwiegend und nachhaltig. Frahm befürwortet Jugendstrafrecht, wegen kindlicher Sprache & Abhängigkeit von Eltern. Die politische Aktivität habe S. auf Druck der AfD beendet. Seine politischen Positionen könnten jedoch die Hemmschwelle gesenkt haben. Frahm fordert 3,5 Jahre Haft, 2 Jahre Führerscheinentzug.
Nebenklageanwalt Elberling kritisiert im Plädoyer die Ermittlungsbehörden, die anfangs von „Verkehrsunfall“ und aneinandergeratenen Linken & Rechten sprachen. Dies beruhe auch auf Vorurteilen. Durch entsprechende Presse waren die Betroffenen mit 1. Täter-Opfer-Umkehr konfrontiert. Was der Angeklagte getan habe, „war nichts weniger als ein Tötungsversuch, basierend auf Hass gegen politische Gegner*innen und Rassismus“. Zum angeblichen Angriff stellt er fest: „Es spricht nichts dafür und alles dagegen, dass es überhaupt einen solchen Angriff gegeben hat“. Der Angeklagte sei „nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eindeutig entlarvt als ein junger Mann mit einem geschlossen extrem rechten Weltbild, getrieben von Hass auf Antifaschist*innen und von Rassismus – und von dem Willen, auch nach diesem Weltbild zu handeln.“ Elberling: „Die Tat war keine Überreaktion, keine Kurzschlusshandlung, sondern sie basiert auf der Entscheidung des Angeklagten, hier mehrere Menschen, die er als politische Gegner*innen und in einem Fall als Schwarze Frau wahrnahm, zu überfahren.“ Elberling führt aus, dass der Tötungsvorsatz in der Ideologie des Täters begründet liegt und zeigt auf, wie das rechte Morden vom historischen Nationalsozialismus bis heute den nahezu immer gleichen Mustern folgt. Die Verschwörungstheorie vom „Großen Austausch“, die sich beim Angeklagten findet, basiert auf der gleichen Ideologie, die Täter wie Anders Breivik, Stephan Ernst und der Attentäter von Halle verfolgten. „Das ist die Ideologie von Melvin S., der ‚um unsere Zukunft kämpfen will‘ und der dafür auch die Freunde R.s von der Pennalen Burschenschaft Germania kennenlernen will – aber nur ,solange es auch Leute sind, die wirklich die Tat sprechen lassen’“, führt Elberling aus. Melvin S.‘ „obsessive Beschäftigung“ mit der phantasierten Bedrohung durch den politischen Feind weise auf Vorsatz hin: „Wer sein Volk gegen das Aussterben verteidigt, wer dabei gegen Gegner kämpft,[…] der schafft es dann auch, sich über eine Hemmschwelle hinwegzusetzen“.
Nebenklagevertreter Hoffmann kritisiert im Plädoyer eingangs Ermittlungsbehörden und Medienberichterstattung nach der Tat und erklärt: wäre ein Mann mit Migrationshintergrund oder ein Linker in AfDler gefahren, wären die Medien voll gewesen mit Schlagzeilen und der Täter in U-Haft. Hoffmann stellt heraus: „Der Angeklagte und seine Begleiter haben von Anfang an versucht, die bewährte Taktik des ‚wir wurden angegriffen‘ zu spielen. Sie hatten die Gelegenheit hierzu, weil nicht von Anfang an eine Trennung der Zeugen vorgenommen wurde.“ Mit Blick auf Julian R., Mitfahrer und Vertrauter des Angeklagten, kündigt Hoffmann an: „R. wird nach seiner hier im Gerichtssaal gemachten Aussage, mein Mandant wäre derjenige gewesen, der Pa. geschlagen hat, wohl noch mit einer Strafanzeige wegen Falschaussage zu rechnen haben“. Rechte Angriffe mit PKWs seien kein neues Phänomen: Ein Auto ist leicht zugänglich, der Täter darin geschützt und kann flüchten. Die Opfer werden völlig überrascht & brutal im Alltag getroffen. Die Botschaft: Wir können euch überall treffen. Panik ist ein fester Kern von Terror. Bezüglich einer Verurteilung nach Jugendstrafrecht macht Rechtsanwalt Hoffmann klar: Rassistische Parolen und eine AfD-Mitgliedschaft können nicht als jugendtypisches Verhalten abgetan werden. Er weist zudem darauf hin, dass eine Bewährungsstrafe ein fatales Signal für rechte Täter wäre.
Verteidiger Hummel beginnt sein Plädoyer mit einer Erklärung, die den Angeklagten als Opfer des Geschehens darstellt. Die mediale Aufmerksamkeit, Kundgebungen vor Gericht und die Nennung seines Namens im Internet, seien für Melvin S. eine Belastung. Weiter erklärt er, sein Mandant würde sich im politisch „liberalen Spektrum“ wiederfinden, da seine Eltern SPD wählen würden. Die AfD-Mitgliedschaft möchte Hummel als „jugendlichen Findungsprozess“ bewertet sehen. Wie zu erwarten war, weist Verteidiger Hummel eine politische Tat und das rassistische Motiv zurück. Die zahlreichen extrem rechten Bezüge wie Hakenkreuz- und Hitler-Bilder auf dem Handy des Angeklagten seien zwar bedenklich, aber auch schon alt und ja auch nicht so viele. Es folgt eine lange Ausführung zum Tatablauf, die entgegen der Beweisaufnahme steht und versucht, die Aussagen der Betroffenen in Zweifel zu ziehen. Der Verteidiger hält daran fest, dass es einen Angriff gab, spricht von Notsituation und fordert einen Freispruch. Die Möglichkeit für letzte Worte will der Angeklagte nicht nutzen. Das Urteil wird am 21.12., 12.00 Uhr verkündet. Das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg, das den Prozess kontinuierlich begleitet hat, ruft zur Abschlusskundgebung auf.

19. Prozesstag: 5. Dezember 2023 (NSU-Watch)

Am 19. Verhandlungstag verzögert Verteidiger Hummel erneut durch wenig nachvollziehbare Anträge den #HUProzess. Er diffamiert die Betroffenen, leugnet nahezu alle festgestellten Verletzungen und bestreitet, dass die Autoattacke Folgen für die NebenklägerInnen O., P., H. & L. hat. Neben bereits gestellten Schmerzensgeld- und Feststellungsanträgen für die Betroffenen O., P. & H. stellt Nebenklagevertreter Elberling den Antrag für L. Verteidiger Hummel weist alle zurück, aber betont, sein Mandant würde aus freien Stücken & Bedauern einen Ausgleich zw. 500-2000 Euro zahlen. In einer Stellungnahme streitet Hummel diverse Tatsachen der Beweisaufnahme ab und unterstellt den Betroffenen Lügen. Er hält an der Erzählung fest, sein Mandant habe Freund Pa. vor einem Angriff retten wollen, erkennt Verletzungen nicht an oder negiert den Tatzusammenhang. Daran anschließend beantragt er ein Gutachten über das damalige Sichtfeld der Betroffenen O. & L. sowie ein Gutachten über den Begriff „Ortskontrollfahrt“ als jugendtypischen Ausdruck. Weder Nebenklagevertreter noch Staatsanwaltschaft halten dies für verfahrensrelevant. Hummel zweifelt die Arbeitsunfähigkeit des Betroffenen P. an und fordert ein medizinisches Gutachten sowie ein psychiatrisches über die Betroffene O. Deren Angst vor rassistischer Gewalt sowie das erlittene Trauma durch die Autoattacke seien subjektiv und nicht nachvollziehbar. Nebenklagevertreter Hoffmann stellt klar, dass der Antrag herabwürdigend ist: „Es ist eine doppelte Viktimisierung, es ist ein weiterer Angriff“. Die Autoattacke als Botschaftstat habe das Ziel, Angst zu schüren. Das vorgebliche Bedauern des Täters sei daher nur eine leere Formel, so Rechtsanwalt Elberling. Am kommenden Montag wird der Henstedt-Ulzburg Prozess voraussichtlich mit den Plädoyers fortgesetzt. Das Urteil wird in der 3. Dezemberwoche erwartet. Das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg ist weiterhin vor Ort & mobilisiert zum Prozessende.

18. Prozesstag: 23. November 2023 (NSU Watch)

Am 18. Tag im #HUProzess wurde Jugendgerichtshelfer K. gehört. Er stellt fest, dass der Angeklagte „mit Sicherheit unschön rechts unterwegs“ war, relativiert dies aber als „jugendtypisches Verhalten“. Es wurden Schmerzensgeldanträge gestellt und Stellung zu Gutachten genommen. Die Nebenklage beantragt für die Betroffenen O., P. & H. Schmerzensgeld, woraufhin die Verteidigung die Unterbrechung der Verhandlung bis zum 11.12. fordert. Die Richterin erklärt, die Anträge kämen nicht überraschend, schiebt aber die für heute geplanten Plädoyers auf den 5.12. Es folgt der Bericht der Jugendgerichtshilfe. Melvin S. sei ein „freundlicher und zuverlässiger Typ“, der 70% des Tages an das Geschehen denke. S. bereue, zu der Demo gefahren zu sein. Er habe Schuldgefühle aufgrund der entstandenen Verletzungen, gegenüber Freunden und Eltern. Über die Tat selbst wollte S. mit Jugendgerichtshelfer K. nicht sprechen. K. meint, „als politisch eindeutig rechts verortet“ auf diese Demonstration zu gehen und dort rechte Sticker zu verkleben und mit der „Reichsbrause“ zu posieren, das sei jugendliches Imponiergehabe. „In aller Vorsicht“ spricht K. von einer günstigen Sozialprognose. Aufgrund des „glatten Lebenslaufs“ käme Erwachsenenstrafrecht zwar in Betracht, da S. aber noch bei den Eltern wohnt, befürwortet K. Anwendung des Jugendstrafrechts und regt an, S. den Führerschein zurückzugeben. Schließlich nehmen Nebenklagevertreter und Verteidigung Stellung zu den am 17. Prozesstag behandelten Gutachten. Rechtsanwalt Elberling erklärt, die Aussagekraft des Gutachtens des KFZ-Sachverständigen I. sei begrenzt, da angewendete Methoden sich nicht auf die Tatsachen der Tat bezögen. Verteidigung zweifelt an, dass der Aufprall alle Beschädigungen am Tatauto verursachte. Es könnten „nachträgliche Veränderungen am Fahrzeug vorgenommen worden sein“. Bei fast allen Verletzungen der Betroffenen versucht er in Abrede zu stellen, dass sie vom Täter verursacht seien. Aufgrund der beantragten Unterbrechung endet der Prozesstag nach nur 2,5 Stunden. Für den 5.12. sind die Plädoyers geplant. Das Urteil im #HUProzess wird am 11.12. erwartet. Das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzbzrg mobilisiert zum Ende des Prozesses.

17. Prozesstag: 16. November 2023 (NSU Watch)

Am heutigen 17. Verhandlungstag im #HUProzess stellten der rechtsmedizinische und der KFZ-Sachverständige ihre Gutachten vor. Der Tag war geprägt von fachlichen Detailfragen. Zudem beantwortete der Angeklagte S. letzte Fragen zur Tat. Zu Beginn hielt die Richterin dem Angeklagten Bilder vom Tatort vor. Die deutliche Delle in der Motorhaube des Tatfahrzeugs erklärte S. durch den Aufprall einer Person. Er vermutet die Betroffene O. und gibt an, auf den Grünstreifen gefahren zu sein, um sie „herunterzulassen“. Der KFZ-Sachverständige I. führte aus, der Fahrer habe notwendigerweise Gas gegeben, um auf den Gehweg zu gelangen, und dann mit etwa 20 km/h die Personen getroffen. Er stellte Beschädigungen an Frontbereich, Seite und Motorhaube sowie Spuren vom Fahren über den Grünstreifen fest. Es folgten mehrstündige Detailnachfragen zu Geschwindigkeiten, Gewichtsveränderungen, Methodik und Versuchsaufbau sowie zur generellen Aussagefähigkeit des Gutachtens. Zuletzt versuchte Verteidiger Hummel, eine sichtbare Beule am Wagen wegzureden. Der rechtsmedizinische Gutachter B. monierte zunächst die spärliche Begutachtungsgrundlage aus den Akten, da nicht von allen Betroffenen ein rechtsmedizinisches Gutachten vorliege. Die ärztlichen Dokumente würden für eine abschließende Bewertung nicht ausreichen. Für die drei Betroffenen, die Kontakt mit dem Fahrzeug hatten, gilt laut B.: „Das alles hätte ganz anders ausgehen können“. Es bestand eine potentiell lebensgefährliche Situation. Auch mit geringer Geschwindigkeit wäre z.B. eine Überrollung mit dem 2,5t schweren Fahrzeug tödlich. Auf Nachfrage, ob die von S. behauptete Amnesie über die Sekunden der konkreten Tat plausibel sei, erklärte B., der Angeklagte habe selbst keine Verletzungen und auch nicht unter Einfluss von Substanzen gestanden, auch die Kürze der Amnesie sei „außergewöhnlich“. Mit dem 17. Verhandlungstag geht die Beweisaufnahme im #HUProzess dem Ende zu. Für den kommenden Verhandlungstag am 23.11. werden die Einschätzung der Jugendgerichtshilfe sowie die ersten Plädoyers erwartet.

16. Prozesstag: 13. November 2023 (NSU Watch)

An Tag 16 im #HUProzess erklärte die Verteidigung, Melvin S. sei Opfer einer Sticker-Attacke im Gerichtssaal geworden und machte damit den Täter zum Opfer. #StickerGate Zudem sagte Z. aus, der nach der Tat mit Täterfreund T. entmenschlichend über die Opfer der Auto-Attacke sprach. Zu Beginn erklärte die Verteidigung, ihr Mandant sei am 15. Prozesstag bedroht worden, indem eine Person ihm drei antifaschistische Aufkleber auf den Tisch geworfen habe. Den Inhalt wertete er als „Todesdrohung“ und beschwerte sich über die „herabwürdigende“ Formulierung „Fascho“. Zudem phantasierte Verteidiger Hummel von einer möglichen Bewaffnung von Personen, trotz Sicherheitskontrollen, und beklagte, die Kundgebungen des Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg würden sich ausschließlich gegen seinen Mandanten richten. Zeuge Z. hatte unmittelbar nach der Tat mit T. gesprochen und gefragt: „Leben die Dinger noch?“ Heute gab er an, er erinnere sich nicht mehr an das Gespräch, erkenne aber seine „alte Ausdrucksweise“, von der er sich nun distanziere. Er und T. kommunizierten primär über Discord. T. habe damit geprahlt, Nazi-Aufkleber auf einer Antifa-Kundgebung geklebt zu haben. Dies bewertet Z. heute als unnötige Provokation. Der Zeuge erinnert sich auf mehrfache Nachfrage nicht daran, dass ihm seitens T. von einem vorausgegangenen Angriff berichtet wurde. Zum Prozesstag-Ende stellte Vorsitzende Richterin Brommann gegenüber Verteidigung und Angeklagten klar, dass neben der gefährlichen Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs auch eine solche durch eine „das Leben gefährdende Behandlung“ im Raum stehe. Fortgesetzt wird der #HUProzess bereits am kommenden Donnerstag mit der Befragung des Fahrzeug-Sachverständigen sowie der rechtsmedizinischen Sachverständigen. Damit bewegt sich die Beweisaufnahme des Verfahrens auf das Ende zu. Ein Urteil wird im Dezember erwartet.

15. Prozesstag: 27. Oktober 2023 (NSU Watch)

Am 15. Tag im #HUProzess sagte Julian Flak aus, stellv. AfD-Landesvorsitzender. Er bemühte sich um Distanzierung zum Angeklagten, hatte sich jedoch mit Mitfahrer R. am Küchentisch über den Umgang mit der Tat unterhalten. Zudem wurde Lisa P., Ex-Freundin von S. befragt. Julian Flak erzählte, S. sei Mitte 2019 in die AfD eingetreten. Man kenne sich von Parteiveranstaltungen und -stammtischen. S. habe sich beispielsweise dazu eingebracht, wie die Parteien die Landbevölkerung gewinnen können, und sei plakatieren gegangen. Flak hatte am Tatabend und den Folgetagen Kontakt zu S. und beriet ihn zur Situation. Laut Vorhalt der Nebenklage empfahl er, sich einen Anwalt zu nehmen und AfDler und Polizist Claus Schaffer um Rat zu fragen. Flak gab an, sich nicht mehr daran zu erinnern. S. habe erzählt, er sei auf den Gehweg gefahren, um „Kumpels zu helfen“, die „angegangen“ worden seien. Auf Frage der NK sagte Flak, gemeint sei eine bedrohliche Situation, kein körperlicher Angriff. Auch in dem von Flak verfassten Flyer wird kein körperlicher Angriff erwähnt. Mit Mitfahrer Julian R. stellte Flak bei sich zu Hause am Küchentisch die Auto-Attacke mit einer Streichholzschachtel nach. Da die Tat „kontraproduktiv“ für die AfD sei, forderte er S. zum Austritt auf, dem kam dieser nach. Vor der Aussage von Lisa P. stellte die Verteidigung Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit und versuchte, mit einer wirren Begründung eine Belehrung zur Aussageverweigerung für P. zu erwirken. Das Gericht lehnte ab und bekräftigte, das öffentliches Interesse überwiege. Zeugin P. behauptete, mit ihrem damaligen Partner nicht über den Vorfall gesprochen zu haben, man habe sich „auch sonst nicht über politische Einstellungen ausgetauscht“. Er sei zwar „stark belastet“ gewesen, aber sie habe nie nachgefragt. Es sei, so Zeugin P., auch kein Thema gewesen, wie es den Geschädigten geht. Auf die Frage was sie darüber denke, was passiert ist, sagt sie: „Ich glaub, was ich denke, ist eigentlich unwichtig. Ich war ja nicht dabei“. Am Ende des heutigen Verhandlungstages zog Verteidiger Hummel die Relevanz der eingereichten medizinischen Dokumente des Betroffenen P. in Zweifel. Nebenklagerechtsanwalt Elberling wies darauf hin, dass die Unterlagen zeigten, dass „Ihr Mandant meinem Mandanten diese Verletzungen zugefügt hat“. Der geladene Zeuge Max Z. erschien nicht. Er war nach dem letzten Verhandlungstag ermittelt worden, da er mit dem Zeugen T. aus der Vierergruppe um Melvin S. direkt nach der Tat Kontakt gehabt hatte. Z. soll erneut geladen werden. Der Prozess wird am 13.11. fortgesetzt.

14. Prozesstag: 12. Oktober 2023 (NSU Watch)

Der 14. Verhandlungstag im #HUProzess endete nach 2,5 Std., da der Angeklagte sich nicht wie geplant zur Sache, sondern nur zu seinen Lebensverhältnissen einließ. Abgespielte Sprachnachrichten gaben Einblick, wie die Vierergruppe um S. die Tat verhandelte und in S.‘ AfD-Kontakt. Eingangs wiesen NebenklagevertreterInnen RA Elberling und RAin Eder auf die Unglaubwürdigkeit des zuletzt vernommenen Zeugen T. und der anderen Freunden und Begleiter von Melvin S. hin, deren Aussagen sich nicht an den vorliegenden Beweismitteln prüfen ließen. Staatsanwalt Frahm regte an, den am 13. Prozesstag aufgetauchten Kontakt „Interessant“ zu ermitteln, mit dem sich Zeuge T. kurz nach der Tat austauschte. T.s Angabe, er wisse nicht, wer dies sei, sei auffällig angesichts der vertrauten Kommunikation. S. erzählte von glücklicher Kindheit, Freizeitgestaltung und Bildungsweg, nachdem Verteidiger Hummel erklärte, sein Mandant würde sich erst zur Sache äußern, wenn die Nebenklage alle Beweisanträge gestellt hat. Rechtsanwalt Elberling wies dies als absurd zurück. Es wurden dann Sprachnachrichten abgespielt, in denen sich die Vierergruppe nach der Tat austauschte. S. befürchtet dort, dass seine AfD-Mitgliedschaft bekannt werde. Auch solle es nochmal ein Gespräch mit dem damaligen AfD-Landtagsmitglied und Polizist Claus Schaffer geben. Ein Parteimitglied habe ihm auch einen Fall, der „so ähnlich“ war, geschickt: Dort sei ein Neonazi nach einem tödlichen Autoangriff auf einen Linken freigesprochen worden, weil das als „Selbstverteidigung“ gewertet worden sei. Am 27.10. werden der AfD-Funktionär Julian Flak sowie die Ex-Freundin des Angeklagten und Schwester des Zeugen Pa. aussagen. Der Termin am 25.10. entfällt. Das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg wird wieder vor Ort sein.

13. Prozesstag: 5. Oktober 2023 (NSU Watch)

Am 13. Verhandlungstag im #HUProzess sagte T., der letzte der Vierergruppe um Täter Melvin S. aus. Die Befragung offenbarte seinen Waffen-Faible und er zeigte auffällige Erinnerungslücken. Jedoch distanzierte er sich auch von der Tat und räumte die Schuld der Vierergruppe ein. Zunächst bestätigte T. das Täter-Narrativ, sie hätten sich die Demo gegen die AfD nur mal anschauen wollen, seien dann aber weggeschickt, auf dem Weg zu ihren Autos von Maskierten verfolgt und Pa. schließlich geschlagen worden. Obwohl er direkt am Tatfahrzeug stand und sah, wie S. auf den Gehweg fuhr, will er die Tat nicht gesehen haben. Er begründet dies mit einem Blackout durch den Schock, weil S. auf den Gehweg gefahren sei. Er habe sich zusammen mit Pa. bei den Verletzten entschuldigt. Zur politischen Einstellung des Täters befragt, gibt T. an, dieser „mochte die AfD“, sei „Fan vom 2. Weltkrieg“ und habe eine entsprechende Uniform sowie ein Schild mit altdeutscher Schrift in seinem Zimmer hängen. Zudem muss er zugeben, dass S. ihm rassistische Bilder schickte. T. beschreibt sich als unpolitisch, findet es aber nicht ungewöhnlich, wenn Leute in solchen Uniformen draußen unterwegs seien. Er besitze eine russische Uniform und gibt zu, u.a. eine Waffenbauanleitung von seinem Handy gelöscht zu haben, weil er die Konfiszierung erwartet habe. Konfrontiert mit rechten Inhalten der Handyauswertung versuchte T. sich mit Erinnerungsschwund, Unwissenheit oder schlechtem Humor zu entschuldigen. Auf Vorhalt gab er zu, am Tattag das Foto von S. mit „Reichsbrause“ gemacht und Nazi-Sticker verklebt zu haben, die er von S. bekam. Kurz vor der Tat schickte T. einem als „Interessant“ abgespeicherten Kontakt seinen Standort. Danach telefonierte er mit ihm & erhielt die Nachricht „Leben die Dinger noch?“. Nach diesem befragt, behauptete T., die Person nur aus Internet zu kennen & keinen Kontakt mehr zu haben. Im Gegensatz zu vorherigen Zeugen aus dem Täterumfeld distanziert sich T. recht deutlich von der Tat: Sie hätten „große Scheiße“ gebaut und es sei ihre Schuld. Gleichzeitig trägt er durch offenkundigen Unwillen sich zu erinnern kaum zur Aufklärung bei, trotz mehrfacher Ermahnung. Nebenklagevertreter RA Elberling regte an, als weitere Zeugen die Exfreundin des Angeklagten sowie AfD-Funktionär Julian Flak zu laden. Fortgesetzt wird der Prozess am 12.10. mit der erneuten Befragung von Melvin S., der Termin am 9.10. fällt aus.

12. Prozesstag: 27. September 2023 (NSU Watch)

Am 12. Verhandlungstag im #HUProzess sagte Pa., Freund von Melvin S., aus. Er versuchte die bisherige Erzählung, sein Freund S. habe ihn bloß vor einem Antifa-Angriff retten wollen zu bestätigen, widersprach jedoch in relevanten Punkten bisherigen Aussagen aus dem Täterumfeld. Pa. schilderte, wie er S., R. & T. bei der Demo gegen die AfD traf. Dort habe man sie für Nazis gehalten und mit Lautsprechern beschallt. Heute vermutet er seinen Londsdale-Pullover als Grund, scherzhaft habe ihn schon mal ein Kollege deshalb „Scheiß Nazi“ genannt. Auf dem Weg zu den Autos seien die anderen 3 schneller geworden, er habe aber nicht verstanden warum. Dann hätte plötzlich 5-8 Maskierte vor ihm gestanden, ein Kleinerer sei vorgetreten und hätte ihm ins Gesicht geschlagen. Seine Wange sei gerötet gewesen, beim Arzt war er nicht. In diesem Augenblick habe er das Tatfahrzeug auf dem Bürgersteig wahrgenommen. Den Aufprall des Wagens habe er nicht gesehen, aber gehört und sofort gewusst, dass jemand getroffen worden war. Er habe dann eine Person auf dem Rasen liegen sehen und sich sofort entschuldigt. Nebenklageanwalt Hoffmann stellt zentrale Widersprüche zu bisherigen Aussagen fest: Erstens habe Pa. die Angriffssituation deutlich anders geschildert als zuvor R., der von einer Umzingelung des am Boden liegenden Freundes sprach, den S. mit dem Auto habe retten wollen. Zweitens, so Hoffmann, habe der Täter das Auto bereits vor dem vermeintlichen Schlag auf Pa. auf den Bürgersteig gelenkt. Die Erzählung der Rettung des Freundes Pa. durch die Fahrt in Menschen wird durch die Aussage von Pa. deshalb an dieser Stelle so nicht bestätigt. Zur politischen Position befragt, gab Pa. an, sich nicht für Politik zu interessieren, S. aber rechts oder konservativ einzuordnen. Er selbst wähle CDU oder SPD. Mit „Reichsbrause“ auf einer linken Demo zu posieren tat er als schlechten Scherz ab. Auch die aus dem Täterumfeld mehrfach getätigte Aussage, Melvin S. habe nach der Tat unter Schock gestanden, bestätigte der Zeuge Pa. nicht: Niemand aus der Vierergruppe habe unter Schock gestanden, Angst oder Panik gehabt. Auf Vorhalt einer Chatkommunikation mit T., in dem dieser davon spricht, verfassungsfeindliches Material zu löschen, muss Pa. zugeben, dass auch er Daten von seinem Handy gelöscht hat. Nach eigenen Angaben Bilder von Airsoftwaffen, aus Angst, dass diese falsch verstanden würden. In der kommenden Woche, am 05.10., wird mit dem Tatzeugen T. die letzte Person der Vierergruppe um Melvin S. vor dem Landgericht in Kiel aussagen. Das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg organisiert erneute eine Kundgebung.

11. Prozesstag: 25. September 2023 (NSU Watch)

Am heutigen 11. Verhandlungsstag im #HUProzess sagten drei PolizistInnen aus. Sie hatten wenig eigene Erinnerungen an den Tattag, zwei stützten sich in ihren Aussagen im Wesentlichen auf im Nachgang der Tat angefertigte Berichte. Polizist F. und Polizistin P. waren zum Tatzeitpunkt am Eingang des Veranstaltungsgeländes der AfD-Veranstaltung und zur Gegendemo positioniert, standen jedoch abgewandt zum Tatgeschehen und konnten nicht die gesamte Tat beobachten. P. und F. sahen wie das Auto auf dem Gehweg fuhr. Aufgrund des hängenden Kennzeichens gingen sie sofort davon aus, dass was passiert war. Aufgebrachte Menschen riefen „Er wollte uns umbringen“. P. forderte mit Funkspruch „Gefährliche Körperverletzung“ Hilfe an. Polizist F. holte den Fahrer Melvin S. aus dem Wagen. Dieser habe angegeben, er sei auf Menschen zugefahren, weil sein Freund geschlagen worden sei. Die Personen seien jedoch nicht wie erwartet zur Seite gesprungen und er habe jemanden angefahren. Bereits zuvor auf dem Veranstaltungsgelände war Beamtin P. die 4er-Gruppe aufgefallen, die sie aufgrund des „Londsdale“-Pullover als rechts einordnete. Auf Nachfrage des Gerichts gab sie an, keine Personen gesehen zu haben, die der Gruppe gefolgt seien. Polizist K. fuhr Fahrer S. und Mitfahrer R. auf die Wache und führte erste Befragungen durch. Auf Frage von Richterin Brommann konnte K. nicht ausschließen, dass die vier sich auf der Wache hätten absprechen können. Sie machten nahezu identische Aussagen. An den nächsten beiden Verhandlungstagen sagen die Freunde des Täters, Pa. und T., aus. Das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg organisiert wieder Kundgebungen.

10. Prozesstag: 28. August 2023 (NSU Watch)

Am 10. Prozesstag im #HUProzess sagten die Mutter des Täters und ein Polizeibeamter aus. Während Frau B. eine politische Dimension zurückwies, berichtet Polizist K. von Handyauswertung des Täters mit Hakenkreuz-Bildern, Linken-Hass, NS-Verherrlichung und rassistischer Ideologie. Frau B. berichtet, ihr Sohn und seine Freunde seien nach der Tat bei ihr gewesen und hätten erzählt, dass S. eine Frau angefahren hat. Dies ist bemerkenswert, da S. sich in seiner Einlassung nicht an die betroffene Schwarze Frau erinnern wollte. Zunächst gibt Frau B. an, sie habe sich um die Frau gesorgt. Auf Nachfrage, warum sie sich nicht nach den Verletzten erkundigten: „Nee, an sowas habe ich absolut nicht gedacht. Hatten viel um die Ohren, wo ist mein Auto, ist das repariert, sodass ich an sowas nicht gedacht habe.“ Zur politischen Einstellung ihres Sohnes will sie keine Angaben machen. Sie ist der Meinung, dass dies kein politisches Verfahren sei. Auf Nachfrage zur Mitgliedschaft ihres Sohnes in der AfD und Kontakt zu AfD Funktionär Julian Flak, antwortet sie ablehnend: „Kein Kommentar“. Melvin S. und Freunde hätten ihr berichtet, sie seien angegriffen worden. Sie hätten völlig unter Schock gestanden, Verletzungen habe sie allerdings keine feststellen können, da, wie sie erklärt, das Licht zu Hause so schlecht gewesen sei. Eingehend nachgeschaut habe sie nicht. B. berichtet, dass zwei Frauen auf dem Hof der Familie ihren Hund gesucht hätten. Weil diese schnell wieder weg waren, meint Frau B., sie sei ausspioniert worden. Später standen Autos in der Straße, ihr Sohn habe gesagt, „Du musst jetzt reagieren“, woraufhin sie die Polizei rief. Die Polizei stellte allerdings nichts Ungewöhnliches fest. Dennoch wurden aufgrund der Vorfälle Kameras installiert und die Familie erhielt Polizeischutz, die monatelang, stündlich bei der Familie vorbeigefahren sei. B. unterstellt der Betroffenen O., mit den Frauen auf dem Hof befreundet zu sein und beschuldigt sie so, Teil des vermeintlichen Bedrohungsszenarios zu sein. Geschlecht und Alter würden übereinstimmen, gibt sie an. Bei der Polizei beschrieb sie eine Frau mit „oliv-farbenen Teint“. Verteidiger Hummel stellt die rassistische Dimension der Tat als diffuse Angst der Betroffenen O. dar und setzte Rassismus mit den Ängsten der Familie vor einer angeblichen Bedrohung gleich. Nach dieser Verschwörungserzählung und Täter-Opfer-Umkehr verlässt O. den Saal.NK-RAElberling zeigt sich fassungslos: Es sei beeindruckend, dass sich diese Vorstellung vom politischen Gegner, von dem Gefahr drohe, nun auch bei der Mutter wiederfinde. Er vermutet später, dass S. die Provokation und die daraus vermeintlich erwachsende Gefahr wohl fasziniere. Polizist K. wertete Handys von S. und Freunden aus. Inhalte zeigen rechte Ideologie & im Speziellen Hass auf Linke, von denen S. in entmenschlichender Weise als „Antifanten“ und „Zecken“ spricht. Am Tag vor der Tat sprachen sie davon, linke Plakate in Henstedt-Ulzburg abzureißen. Auf dem Handy von S. wurde neonazistisches Material gefunden. Antisemitische Vernichtungsphantasien & Rassismus zeigten sich in einem Video in dem eine Frau singt: „Don’t get me wrong, I’m not a nazi, I just want all jews to die“ und die „Durchmischung der Rassen“ für Sünde hält. Zudem wurden extrem rechte Lieder entdeckt wie „Sachsenmarsch“/“Deutschland erwache“, das die NSDAP glorifiziert: „Arisches Blut soll nicht untergeh’n […] Wir sind die Kämpfer der N.S.D.A.P. […] Dem Hakenkreuze ergeben sind wir, Heil unser’m Führer, Heil Hitler dir!“. In einem Harry-Potter-Video werden Fahnen zu Hakenkreuz-Bannern und „Sieg Heil“ gebrüllt. Ein Video zeigt Melvin S. & mutmaßlich Julian R., die Krieg spielen: Sie tragen Militär-Uniform, Stahlhelme und Softair-Waffen und singen das bei der Wehrmacht beliebte Soldatenlied „Erika“. Zum Ende des Prozesstages wurden weitere Termine bis Ende des Jahres bekannt gegeben. Der nächste Termin findet am 25.09. vor dem Landgericht Kiel statt.

9. Prozesstag: 25. August 2023 (NSU Watch)

Am 9. Prozesstag im #HUProzess vor dem Landgericht Kiel wurden zwei Zeug*innen gehört, die Teile der Tat beobachtet haben, sowie zwei Polizeibeamtinnen. Im Wesentlichen bestätigte sich die bisherige Beweisaufnahme. Zeugin V. fuhr zufällig am Tatort vorbei und beobachtete Teile der Szenerie: Sie sah eine Menschenmenge und wie Personen gegen den Tatwagen trommelten. Eine Person lief vor ihr Auto, sie konnte noch bremsen. Dann hörte sie den Schuss der Polizei. Details erinnert sie kaum noch. Zeuge B. nahm an der Gegenkundgebung teil und sah wie das Auto in Betroffene fuhr. Er war geschockt von der Situation. In seiner polizeilichen Aussage sagte B.,“der wollte die töten“. Auf Nachfrage, ob er einen Anlass für den Schuss sah, den er hörte, sagte B.: „auf keinen Fall“. Polizeibeamtin K. vernahm zahlreiche Tatzeug*innen in den Folgetagen. Sie veranlasste die Handybeschlagnahme bei Julian R., T. und Pa., den Freunden des Täters. Pa. löschte offensichtlich Daten, als er Kenntnis davon erlangte, dass R.s Handy beschlagnahmt wurde. Weiter erklärte K., dass die Eltern des Täters der Polizei von 2 Frauen, die ihren Hund auf dem Hof der Familie suchten, & 2 Männern in einem Auto berichteten. Später soll die Adresse im Netz veröffentlicht worden sein, woraufhin die Polizei Schutzmaßnahmen beim Täter einleitete. Die Verteidigung versuchte diese Erzählung zum Anlass zu nehmen, der Beamtin eine Gefährdungslage durch Linke und u.a. durch ein Solidaritäts-Banner beim Fc St.pauli zu entlocken. Diese verneinte eine konkrete Gefährdungslage für den Täter allerdings. Thema war erneut der vermeintliche Angriff auf Täterfreund Pa. Zwar gaben sowohl Beamtin K. als auch die im Anschluss vernommene Beamtin F. an, Pa. habe von Schlägen erzählt, sie konnten jedoch keine Verletzungen feststellen und Pa. habe einen RTW abgelehnt. F. erklärte den Warnschuss ihres Gruppenführers: ca. 20 schwarz gekleidete Personen hätten sich „wirklich bedrohlich“ auf das Auto zubewegt. Personen seien aggressiv, weil sie AfD geschubst und Polizei bepöbelt hätten, indem sie Tipps zum Tierschutz wg. eingesetzter Hunde gaben. Zum Ende des 8-stündigen Tags wurde klar, dass sich der Prozess vermutlich bis in den November ziehen wird. Der nächste Termin ist bereits am kommenden Montag, u.a. wird die Mutter des Täters aussagen. Das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg ruft zur solidarischen Prozessbegleitung auf.

8. Prozesstag: 23. August 2023 (NSU Watch)

Am heutigen 8. Verhandlungstag im #HUProzess sagte P., der letzte der vier Betroffenen, vor dem Landgericht Kiel aus. Durch die Auto-Attacke ist P. arbeitsunfähig und leidet dauerhaft an starken Schmerzen. Wichtig ist ihm, dass das Gericht die Tat als rechten Anschlag anerkennt. Der Betroffene P. beschrieb, wie er die Tat erlebte: Gemeinsam mit dem ebenfalls betroffenen H. nahm er am 17.10.2020 an der Kundgebung gegen die AfD in Henstedt-Ulzburg teil. Als sie sich ein Getränk kaufen wollten, wurden sie plötzlich von Melvin S. mit dem Auto attackiert. P. erläutert: „Das Auto ist auf uns zugekommen und ich hab dann versucht, H. bisschen links rüber zu schieben auf die Grünfläche und hab ihn auch geschubst. Ich bin hochgesprungen, der Wagen hat mich am Bein getroffen und ich bin mit dem Oberkörper auf die Motorhaube gefallen“. Nach dem Angriff kamen zwei Personen der Täter-Gruppe auf ihn zu und entschuldigten sich: „Ja, wir sind rechts, aber niemals hätten wir damit gerechnet, dass er euch totfahren will.“ Täter S. habe ihnen gesagt, sie sollten „herkommen, um zur AfD zu gehen und Zecken zu glotzen“. P. konfrontierte Fahrer S. direkt am Tatort: „Du bist nicht ganz dicht, wir hätten tot sein können“. Daraufhin grinste S. ihn nur an. Dieser Moment prägte sich bei P. besonders ein. Im Prozess hingegen schaut der Täter keinen der Betroffenen an, zeigt keinerlei Reaktion. Am 7. Prozesstag hatte Mitfahrer Julian R. den Betroffenen P. beschuldigt, den Zeugen Pa. geschlagen zu haben. Dies wies P. zurück. Wie bisher gehörte Tatzeugen hat auch P. einen vermeintlichen Angriff auf Pa. nicht gesehen. Er vermutet, R. schütze den Täter mit dieser Behauptung Durch sein jahrzehntelanges antifaschistisches Engagement, erfasste P. bereits im Geschehen die politische Dimension der Tat. Die Erfahrung zeige, „wie extrem Rechte agieren und dann hatte ich immer wieder im Kopf was Gauland gesagt hat: ‚wir werden sie jagen'“. Auf Nachfrage erklärt P. warum er antifaschistisches Engagement für notwendig hält: „Bei uns in der Familie ging es schon immer um Gerechtigkeit. Wir haben […] einen Menschen, der im KZ totgeschlagen wurde […] ich sage: mit dem Faschismus kommen wir kein Stück weiter“. Noch heute leidet P. unter Folgen der Autoattacke. Neben Prellungen und Abschürfungen erlitt er Verletzungen am Rücken, die bis heute starke Schmerzen verursachen. Noch im letzten Jahr musste er sich einer stationären Reha unterziehen, ihm droht eine Versteifung der Lendenwirbel. Seine berufliche Perspektive ist durch die Tat zerstört: P. war gerade dabei, ein Projekt für psychisch erkrankte Mädchen aufzubauen, nachdem er jahrelang in der Leitung einer Grundschulbetreuung tätig war. Aufgrund der starken Schmerzen droht nun die Frühverrentung. Nach Erwartungen an den Prozess gefragt erklärt P.: „Ich hab einen Wunsch ja, dass man rechte Anschläge erkennt & rechte Anschläge benennt. Für mich ist […] klar aus welchen Motiven wir angegriffen wurden. Das wär schon mein Wunsch zu sagen: Ok, das erkennt auch das Gericht an“. Im Anschluss der fast 5-stündigen Befragung wurde ein Video von MISSION LIFELINE INTERNATIONAL e.V. in Augenschein genommen, in dem die Betroffenen P. und H. zum Anschlag interviewt werden. Der voll besetzte Saal applaudierte am Ende des Films. Der Prozess wird bereits am kommenden Freitag fortgesetzt. Das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg ruft weiterhin zur solidarischen Prozessbegleitung auf.

7. Prozesstag: 14. August 2023 ( NSU Watch)

Am Montag wurde am 7. Verhandlungstag des #HUProzess Julian R., der Mitfahrer des Täters, befragt. In seiner Aussage betrieb R. Täter-Opfer-Umkehr, leugnete die Autoattacke und verklärte zugleich Täter und Tat. R. gab an, Melvin S., Finn P., Finn T. & er selbst hätten sich den Protest gegen die AfD nur ansehen & sich informieren wollen, was die „Gegenseite“ von der AfD hält. Dort seien sie mit Rasseln & Tröten bedroht, von der Veranstaltung verwiesen, dann von Vermummten verfolgt worden. Sie hätten sich ins Auto gerettet, nur P. habe nicht schnell genug reagiert und sei angegriffen worden. S. sei dann mit dem Wagen auf den Gehweg gerollt und habe die Situation so gelöst, dass „möglichst wenig Schaden“ entstanden und niemand „richtig schlimm verletzt worden“ sei. Dass S. mehrere Personen traf, will R. nicht bemerkt haben. Auch sei keine Person auf der Motorhaube gewesen. Dass selbst der Täter dies zugab, erklärt R. sich durch Presseberichte, die dieser übernommen habe. S. mache sich zu Unrecht Vorwürfe. Er habe gehandelt wie ein „Held“. In der Darstellung des Tattags lässt Mitfahrer R. die vier Verletzten sowie die Tat einfach völlig aus und inszeniert sich & seine Freunde stattdessen als Opfer des Geschehens. Damit übertrifft er, wie RA Elberling feststellt, noch die Einlassung des Angeklagten vom 1. Prozesstag. Trotz des Versuchs, sich und S. als unpolitisch bzw. breit interessiert zu präsentieren, zeigte sich das rechte Umfeld von Ex-CDU-Mitglied R.: Auf Nachfrage gab er die Teilnahme an AfD-Veranstaltungen zu, sowie AfD-Funktionär Julian Flak über die Tat Bericht erstattet zu haben. Widerstrebend räumte R. schließlich auch ein, mehrfach bei der „Gymnasialen Burschenschaft Germania zu Kiel“ gewesen zu sein. In vorgehaltenen Chatverläufen bezeichnete er deren Mitglieder als „echte Männer […] die ein Antifa-Problem vorm Haus“ haben. Auch Melvin S. war laut Chat an einer Vernetzung mit Mitgliedern der „Germania“ interessiert, wenn diese bereit seien „wirklich die Tat sprechen zu lassen“ und wollte wissen, ob diese auch zur AfD-Veranstaltung am 17.10., dem Tattag, kommen würden. Im Publikum saß der Vater des Zeugen. Dieser belästigte eine Betroffene mit einer Geste. Bereits am ersten Prozesstag beleidigte er RA Hoffmann. R. gab zu, sich mit dem Vater über Prozessinhalte ausgetauscht zu haben. Dies könne, so RA Elberling, dessen Aussage beeinflusst haben. Der 7. Prozesstag war dermaßen geprägt von R.s vagem & ausweichendem Aussageverhalten, dessen Angaben oftmals in krassem Widerspruch zu bisherigen Erkenntnissen stehen, dass Richterin Brommann ihn an die Wahrheitspflicht erinnerte & RA Elberling ein Falschaussageverfahren anregte. Am 23.08., 09.00 Uhr, wird der Prozess vor dem Landgericht Kiel fortgesetzt. Es wird der vierte der Betroffenen aussagen. Das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg organisiert eine Kundgebung und ruft zum solidarischen Protest auf.

6. Prozesstag: 11. August 2023 (NSU Watch)

Am 6. Verhandlungstag im #HUProzess sagte die damals 21-jährige Betroffene O. aus. Der Täter jagte sie mit dem Auto und verletzte sie schwer. Eindrücklich schilderte sie den Angriff auf sich als Schwarze Frau und die lebensverändernden Folgen der Tat. Am Tattag nahm O. am Protest gegen die AfD in Henstedt-Ulzburg teil. Sie hielt sich abseits der Demo auf, als sie plötzlich ein Auto auf den Gehweg fahren sah. Sie dachte „das macht er nicht – doch das macht der schon!“ Dann sei sie nur gerannt, wollte sich in Sicherheit bringen. Die Zeit die sie vor dem Täter floh, kam ihr minutenlang vor. Sie rannte auf den Grünstreifen in der Hoffnung, dass sie sich irrte und der Täter an ihr vorbei fahren würde. Dieser lenkte jedoch laut Zeugen auf sie zu und erfasste sie mit voller Wucht mit der Front des Autos. Zunächst sei sie ganz ruhig geworden, vielleicht kurz bewusstlos, dann desorientiert: sie sah nur verschwommen, konnte nicht atmen und glaubte zu ersticken. Sie war nicht in der Lage zu stehen oder der Polizei ihre Daten zu nennen und kam dann ins Krankenhaus. Noch Wochen nach dem Angriff litt sie unter den Verletzungen, konnte ihren Kopf nicht richtig halten, musste zunächst auf Krücken laufen und war in alltäglichen Dingen wie Haarewaschen oder Anziehen auf Unterstützung angewiesen. Über Monate kämpfte sie mit Ängsten: wenn sie abends noch mal die Wohnung verließ oder sie ein Geräusch auf der Terrasse hörte, bekam sie Panik. Inzwischen hat sie gelernt mit solchen Flashbacks umzugehen. Dennoch begleiten O. die Folgen der Tat bis heute: Ihre Zukunftspläne wurden massiv beeinträchtigt, ist weiter in Therapie. Seit Beginn des Prozesses kommt alles wieder hoch: „Ich hatte gelernt mit vielen Ängste zu leben, damit klar zu kommen und jetzt bin ich wieder am Anfang“. Dass der Täter sie in seiner Aussage nicht mal erwähnte, und – obwohl er sie mit dem Auto mehrere Meter verfolgte – angab, sich nicht an sie erinnern zu können, belastet sie: „Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass ich nicht vorkomme“. Vom Prozess erhofft sich O., dass die Tat als das eingestuft wird, was sie ist: „Das war keine Notwehr, keine Abwehr, das war ein rechter und rassistischer Anschlag!“. Sie verdeutlicht die Bedrohung Schwarzer Frauen explizit von Rechts: „Ich dachte, ich bin das Ziel. (…) Ich weiß was die AfD über Menschen mit Migrationshintergrund denkt, ich weiß was sie über Frauen denkt.“ Einen vorhergehenden Angriff auf den Täter und seine Begleiter hat die Betroffene O. wie schon andere Zeugen vor ihr nicht wahrgenommen. Es sei alles ruhig gewesen, bis der Täter mit dem Auto in vier Menschen fuhr. Am kommenden Montag, den 14.08., wird der Prozess fortgesetzt. Es sagen der Mitfahrer und die Begleiter des Täters aus. Das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg organisiert erneut eine Kundgebung und ruft dazu auf, den Prozess kritisch zu begleiten.

5. Prozesstag: 10. August 2023 (NSU Watch)

Am 5. Verhandlungstag im #HUProzess sagte der Betroffene H. aus. Er machte deutlich: Der Angriff durch Melvin S. war politisch motiviert. Er richtete seine Erwartung an das Gericht, die Tat nicht zu entpolitisieren, sondern als rechten und rassistischen Anschlag einzuordnen. H. schilderte, dass er am Tattag am Protest gegen die AfD in Henstedt-Ulzburg teilnahm. Nach der Demo beobachtete er mit dem Betroffenen P., wie aus der Gruppe des späteren Täters Sticker verklebt wurden – vermutlich mit dem Aufdruck „Antifa – Merkels Schlägertrupp“. Kurz darauf hörte H. einen Motor aufheulen und den Ruf „Der fährt los!“ Dann beginnt sein Gedächtnisverlust. Von P. weiß H., dass dieser ihn schubste, als der Täter auf sie zuraste, und so Schlimmeres verhinderte. Als er wieder zu Bewusstsein kommt, ist er orientierungslos. „Es hat sich alles stumpfer angefühlt als vorher. Auch Tageszeit, uhrzeitmäßig, die Situation hat sich anders angefühlt, ja tatsächlich wie so ein schockartiges Aufwachen und dann war auf einmal total viel Gewusel“. Noch Monate später verspürt er Stress bei Dunkelheit & Autolicht. Richtig realisiert habe er die Tötungsabsicht des Täters aber erst im Krankenhaus, in das er und die anderen Betroffenen gebracht wurden. Dort sei ihm klar geworden, „dass man auch hätte nicht wieder aufwachen können, dass man hätte tot sein können […] wir waren alle geschockt“. Auf Frage nach dem Motiv gab H. an, entweder habe der Täter ihn und P. aus dem Weg räumen wollen, um die Betroffene O. als Schwarze Frau zu überfahren. Oder er habe sie als Teilnehmer der Gegendemo erkannt und auch sie aus ideologischen Gründen angreifen wollen. Wichtig ist H., dass das Gericht die politische Dimension der Tat ernst nimmt & alles daran setzt festzustellen, dass das ein rechter & rassistischer Angriff war. Für H. ist klar: Der Täter war AfD-Mitglied, stand in Kontakt zu Neonazi Tommy Frenck & fuhr absichtlich auf Gehweg. Morgen wird die Verhandlung fortgesetzt und O. als dritte Betroffene im #HUProzess befragt. Das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg organisiert wieder eine Kundgebung vor dem Gericht und ruft zur Teilnahme am Prozess auf.

4. Prozesstag: 3. August 2023 (NSU Watch)

Am heutigen 4. Verhandlungstag im #HUProzess vor dem Landgericht Kiel wurde Polizeioberkommissar Z. aus #HenstedtUlzburg vernommen, der nach dem Angriff zur Einsatzkoordination und Beweisaufnahme zum #TatortHU gerufen wurde. Er bestätigte weitestgehend die Anklageschrift. Z. berichtete, er habe eine unübersichtliche Situation am Tatort vorgefunden: mehrere Verletzte und aufgebrachte Menschen, die den Angriff beobachtet hatten. Er ließ das Tatfahrzeug sicherstellen, bestellte den Sachverständigen und informierte die Staatsanwaltschaft. Von dem vermeintlich vorangegangen Angriff auf den Freund von Melvin S. erlangte der Beamte vor Ort keine Kenntnis. Im Nachgang ergänzte er dazu Infos aus Polizeiberichten über Aussagen des Täters & seiner Freunde. Die Geschädigten hatten laut Z. keine Erklärung für die Attacke. Die erste Tatort- und Fahrzeuguntersuchung zeigte laut Z., dass S. gezielt nach rechts lenkte, um nach dem ersten Aufprall noch weitere Personen zu erfassen. Die Stelle des vermeintlichen Angriffs auf seinen Freund hatte er in dem Moment schon mehrere Meter hinter sich gelassen. Z.s Aussage bestätigt die Anklage auf versuchten Totschlag in relevanten Punkten. Fraglich bleibt, warum die 1. Polizei-Pressemeldung trotz damals vorliegender Erkenntnisse verharmlosend von „Unfall“ sprach und die Staatsanwaltschaft anfangs nur wegen Körperverletzung ermittelte. Kommende Woche werden Betroffene des rechten und rassistischen Anschlags aussagen. Während ihrer Befragungen am 10. und 11. August organisiert das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg Kundgebungen vor dem Gericht. Lest auch die Pressemitteilung von Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg zur gestrigen Aussage eines Betroffenen!

3. Prozesstag: 2. August 2023 (NSU Watch)

Am 3. Tag im #HUProzess sagte der erste der vier Betroffenen, L., vor dem Landgericht Kiel aus. Eindrücklich schilderte er das traumatische Erlebnis der Auto-Attacke durch Melvin S. Als seine Begleitung vom Auto erfasst wurde, „dachte ich direkt, dass sie tot ist“. Sichtlich berührt sprach der Zeuge L. über psychische und körperliche Verletzungen durch die Attacke, die zum Teil bis heute anhalten. Damit ermöglichte er den Anwesenden einen Einblick darin, wie tief die Tat in das Leben der Betroffenen eingegriffen hat. L. berichtete, dass er mit seiner Begleitung O. die Kundgebung gg. die AfD in Henstedt-Ulzburg besuchte. Melvin S. u. seine 3 Freunde fielen auf, da sie mehrfach von dort verwiesen wurden. L. und O. sahen, wie S. u. Freunde zu den Autos gingen, und vermuteten, sie würden abfahren. Stattdessen lenkte S. das Auto gezielt auf den Gehweg und beschleunigte. Der Zeuge L. sah, wie eine Person getroffen und weggeschleudert wurde. Er selbst konnte noch zur Seite springen. Die Betroffene O. wurde jedoch von S. verfolgt, der einen Schlenker fuhr, und sie frontal traf. Im ersten Augenblick dachte der Geschädigte L., seine Begleitung sei tödlich verletzt, dann realisierte er, dass sie lebte. Beide standen unter Schock. Als Motiv für die Verfolgung der Geschädigten O. durch den Angeklagten vermutet der Zeuge L. Rassismus. Auf Nachfrage schildert er: „Er hätte einfach wegfahren können, er ist auf dem Gehweg komplett kontrolliert durchbeschleunigt, keine Sekunde gestoppt, gezögert oder sonst irgendwas und dann kam der Gedanke, quasi wie im Computerspiel, der will einen umfahren und töten“. Heute macht L. stutzig, dass der Mitfahrer zunächst neben dem Täter Platz nehmen wollte, sich dann aber auf die Rückbank setzte. Kurz darauf wurde mit der Beifahrerseite die Personen getroffen, wodurch deutliche Schäden entstanden. Der heutige Verhandlungstag verdeutlichte noch einmal die Widersprüche in der Darstellung des Täters vom 1. Prozesstag. Auch die Vorsitzende Richterin erklärte zu Beginn ihre Bedenken angesichts der Aussagen des Angeklagten und kündigte weitere Fragen an ihn an. In Anbetracht der Aktenlage sei der Eindruck entstanden, Melvin S. würde seine damalige rechte Gesinnung und Einstellung ggü. der AfD relativieren, so die Richterin. Außerdem seien seine Erinnerungslücken des relevanten Tatabschnitts nicht nachvollziehbar. Morgen wird die Hauptverhandlung im #HUProzess in Kiel fortgesetzt. Am 10. und 11. August sagen die drei weiteren Betroffenen des rechten und rassistischen Anschlags aus. Das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg organisiert an diesen Tagen wieder Kundgebungen vor dem Gericht.

2. Prozesstag: 14. Juli 2023 (NSU Watch)

Am heutigen 2. Verhandlungstag zur rechten und rassistischen Autoattacke in Henstedt-Ulzburg vor dem Landgericht Kiel wurden von der Polizei angefertigte Berichte vom Tatort verlesen sowie Bilder von Tatort und Tatfahrzeug eingesehen. 2 Tage nach dem Angriff machte die Polizei mit einer Drohne Luftbilder vom Tatort. Der Weg des Tatfahrzeugs wurde mittels Spuren im Grünstreifen nachgezeichnet. Der Täter fuhr mit seinem 3,5 Tonnen schweren Pick-Up 89,5 Meter über Gehweg & Grünstreifen in die Antifaschist*innen. Die sichtbaren Beschädigungen des Fahrzeugs verweisen auf die Wucht, mit der der Täter Melvin S. auf die Betroffenen traf: Neben einem abgerissenen Außenspiegel waren deutliche Beschädigungen an der Motorhaube und ein gebrochener Frontstoßfänger zu sehen. #HUProzess Der nächste Verhandlungstag im #HUProzess findet am 2. August ab 9.00 Uhr statt. An diesem Tag organisiert das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg erneut eine Kundgebung in Solidarität mit den Betroffenen des rechten Angriffs.

1. Prozesstag: 2. Juli 2023 (NSU Watch)

Prozessauftakt gegen Melvin S. wegen versuchten Totschlags vor dem Landgericht Kiel. S. verletzte 2020 vier Antifaschist*innen mit einem Auto am Rande einer AfD-Veranstaltung. Auf seinem Handy fand die Polizei Hakenkreuz-Bilder und eine Aussage, dass er Linke hasst. Zu Beginn des 1. Prozesstages verlas die Staatsanwaltschaft die Anklage. Am 17.11.20 sei Melvin S. mit 25-35 km/h ungebremst in Menschen gefahren und habe dabei tödliche Verletzungen billigend in Kauf genommen. Die 4 Betroffenen nehmen als Nebenkläger*innen aktiv am Prozess teil. Auf einer Kundgebung sagt eine Betroffene: „Ich bin wortwörtlich in Todesangst um mein Leben gerannt, als Melvin S. dieses riesige Auto auf mich zugesteuert hat und mich mehrere Meter damit gejagt hat.“ „Es hat mich nicht nur als Antifaschistin getroffen, es hat mich in erster Linie als die Schwarze Frau getroffen, die hier steht. Denn ich hatte nie das Privileg unpolitisch sein zu können.“. In seiner Einlassung versuchte der Angeklagte, sich als unpolitisch zu inszenieren und behauptete, aus Angst gehandelt zu haben. Dabei verstrickte er sich aber in offensichtliche Widersprüche und gab bei relevantem Tatgeschehen Erinnerungslücken vor. Vorhalte von Richterin und Staatsanwaltschaft ließen jedoch keine Zweifel an der politischen Einstellung von Melvin S.: auf seinem Handy fanden sich rassistische, NS-verherrlichende und antisemitische Inhalte wie Fotos in Wehrmachtsuniform oder Hakenkreuzdarstellungen. Bis zu seiner Tat war S. zudem aktives AfD-Mitglied. Nach der Tat sprach er mit AfD-Funktionär Julian Flak und trat dann aus der Partei aus. Er war Mitglied im „Rock Hate Forum“, einem bekannten neonazistischen Telegram-Kanal. S. gab an, nur zufällig bei der Demo vorbeigeschaut zu haben, gab im Verlauf aber zu, sich zum „Zecken glotzen“ mit Zeugen R., P. & T. verabredet und dort mit „Reichsbrause“ posiert zu haben. Dabei hatten sie Sticker von „Ein-Prozent“ mit Titel „Antifa Merkels Schlägertrupp“. Bereits vor der Tat hetzte er im Chat mit dem Zeugen R.: „Ich hasse die Linken so sehr, wie du die Kanacken hasst (…) es werden immer mehr, bis wir als deutsche, als weiße Menschen ausgestorben sind.“ S. verklärte die Tat als Notwehrreaktion auf einen vermeintlichen Angriff von Gegendemonstrant*innen auf seinen Freund P. Diese Täter-Opfer-Umkehr ordnete Nebenklage-Vertreter RA Elberling als Teil rechter Ideologie ein. Nebenklage Anwalt Alexander Hoffmann erklärt, S. Vorhaben „Zecken zu glotzen“ sei eine Entmenschlichung der politischen Gegner*innen, indem man diese als Ungeziefer betrachte und ihnen gleichrangige Rechte abspreche. Rechtsanwalt Gerrit Onken beurteilt die Verteidigungsstrategie von S. als „durchsichtig und gescheitert“. Der Angeklagte habe sich in Widersprüche verstrickt und als extrem rechts entlarvt. Vor Gericht gab es eine solidarische Kundgebung von Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg mit über 100 Teilnehmenden. Folgt dem Bündnis für weitere Informationen. Der #HUProzess wird am 14. Juli in Kiel fortgesetzt.